02.03.10

Schule, Schulden, Stadtgeruilla - das Leben am La Plata geht weiter

Gestern kehrte der Alltag zurück in den Cono Sur. Die Schule beginnt und plötzlich ist es wieder voll in Capital. Auf der Panamericana stauts, der 113er ist überfüllt, der Chino bleibt mittags auf. Nach 2 Monaten Ferien kehrt der Alltag an den La Plata zurück. Und auch die Politiker sind zurück. Auf beiden Seiten vom Río begann das politische Leben mit einem Paukenschlag, wenn auch ganz unterschiedlicher Natur.

In Montevideo wurde ausgiebig gefeiert. Pepe Mujica, der in den 70er Jahren der Stadtguerilla angehört und gegen die uruguayische Diktatur gekämpft hatte, hatte es im November geschafft, mit 52% der Stimmen im zweiten Wahlgang zum Präsident Urugays gewählt zu werden (siehe 20.09.09). Seine Frau und ehemalige Mit-Guerillera Lucía Topolansky nahm ihm als Parlamentspräsidentin den Amtseid ab. Zwei Ex-Terroristen als Hauptpersonen im Staatsakt. In seiner Rede überraschte Mujica durch ein ungewöhnliches Versprechen. Anstatt der üblichen politischen Kehrtwende, die ihm die notwendige Profilierung geben und seinen Getreuen ein Stück vom Kuchen politischer Macht sichern würde, will Pepe „mehr vom Gleichen“ für die nächsten 5 Jahre. Hillary Clinton, die zum Gratulieren vorbei kam, sprach sogleich bewundernd von Uruguay als Vorbild für politische Stabilität in der Region. Und auf den Strassen wurde getanzt und gesungen.

Ganz anders die Stimmung westlich vom Río. In Argentinien erwartete man mit Spannung, wie sich die Präsidentin zur Parlamentseröffnung zu DEM politischen Thema der letzten Wochen äußern würde. Die Sommerpause hier wurde beherrscht vom Streit um einen Präsidialerlass, der Gelder aus der Reserve der Zentralbank für die Abzahlung von in 2010 fälligen Staatsschulden in Höhe von 6 Milliarden US$ bestimmte. Die Opposition sah in dem „notwendigen und dringenden“ Erlass einen Angriff auf die Demokratie, weil er die parlamentarische Kontrolle umging. In der Tat: Eine Woche nach Ferienbeginn erschien ein solcher Erlass weder „dringend“ noch „notwendig“. Das Schauspiel begann: Der Zentralbankchef Redrado weigerte sich, die Zahlung vorzunehmen, eine Richterin erklärte den Präsidialerlass für ungültig, argentinische Staatskonten in den USA wurden eingefroren. Der Zentralbankchef wurde entlassen, weigerte sich aber zu gehen, der Aufsichtsrat unterstützte die Zahlung aus der Reserve, Polizisten verwehrten dem obersten Banker Zugang zu seinem Büro und zu guter letzt zog Redrado doch den Hut. Das weitere Vorgehen wurde auf die Zeit nach der Parlamentspause verlegt.

Gestern dann ein neues Kapitel im Spektakel. Cristina Kirchner teilte am Ende ihrer Rede mit, dass man zwar den alten Erlass nicht mehr vollstrecken werde, dass sie aber in der Nacht zwei neue – ebenfalls „dringende und notwendige“- Erlasse unterzeichnet habe, die den gleichen Inhalt hätten und die im Moment der Rede vollstreckt würden. Die Überweisung von der Zentralbank in den Staatshaushalt sei bereits unterwegs. Juristische oder politische Kontrolle und Anfechtung unmöglich. Empörung aller Orten.

Weiterer Streit ist vorprogrammiert. Die Oposition, die seit gestern die Mehrheit im neu zusammen gesetzten Parlament stellt, plant Sondersitzungen, Rücknahme-Beschlüsse, juristische Anfechtung, Untersuchungsausschuss gegen die Bank, strafrechtliche Verfolgung der Präsidentin. Von politischer Stabilität kann keine Rede sein. Nur Hillary, die am gleichen Tag auch in Buenos Aires vorbei kam, lobte die Anstrengungen Argentiniens, seine Schulden zu zahlen.

Staatsschulden, das alte Thema Argentiniens. Einst eines der verschuldetsten Länder der Erde und wesentliche Ursache für die Wirtschaftskrise und den Staatsbankrott in 2001. Nach Neuverhandlung bleiben heute nur noch 140 Milliarden Dollar an Schulden übrig. Achja: plus etwa 70 Milliarden Zinsen. Darunter viele Milliarden, die zur Zeit der Militärdiktatur angehäuft wurden, um den Waffeneinkauf und die Infrastrukturprojekte des Regimes zu finanzieren. Deutsche Unternehmen verdienten damals gut mit. Ein paar Milliarden hat der Staat in den 80ern auch direkt von Firmen übernommen (darunter so arme wie Mercedes-Benz), um den Übergang zur Demokratie abzusichern. Seit Jahren fordern Kritiker, darunter auch die Kirche am La Plata, dass die argentinischen Staatsschulden auf ihre Rechtmässigkeit untersucht werden sollen. In der jetzigen Diskussion spielen diese Argumente keine Rolle. Es wird darum gestritten, wie die Schulden gezahlt werden sollen, keinesfalls aber ob.

Für die Finanzmärkte war die Ankündigung von Cristina ein Grund zum Feiern. Argentiniens Schuldscheine stiegen um 4% und die Risikobewertung des Landes verbesserte sich schlagartig. Ich muss daran denken, wie der deutsche Vizebotschafter im letzten Jahr vor Freude fast ausflippte, als die Präsidentin die Rückzahlung der Schulden an den Pariser Club bekannt gab. Mit dem gestrigen Schachzug dürfte tatsächlich erstmals seit 2001 wieder Geld an die Industriestaaten fließen. Deutschland profitiert, es ist der größte staatliche Gläubiger Argentiniens. Dass das Land darüber in die politische Krise gerät, dürfte die Laune des Botschafters nicht weiter beeinflussen. Er wies schon damals die Kritik an der Schuldenzahlung mit dem etwas dünnen Argument (?) zurück, dass es sich bei der Kirchner-Regierung ja weitbekannt um eine linke und keinesfalls um eine neoliberale handele, es sei also nichts zu befürchten.

Und warum braucht man die Überweisung so dringend? Ganz einfach: Um neue Schulden aufzunehmen. Nur so, ist die politische Überlegung, wird Argentinien die Weltfinanzkrise ohne gesellschaftliche Auseinandersetzung überstehen. Der Börse wird´s gefallen.

1 Kommentar:

Bert hat gesagt…

Der Artikel gehört verkauft, so gut ist er :)
Kannst du auch Angela Merkels Strategie so schön zusammenfassen?