09.11.14

Ein katalanischer 9. November



Nicht in Buenos Aires, sondern in Barcelona darf ich meinen ersten richtigen Caserolaso erleben. Seitdem am Dienstag das Verfassunggericht eine Volksbefragung zur Unabhängigkeit Kataloniens verboten hat, ist es jeden Tag um 22:00 Uhr Zeit, sich lautstark gegen die Bevormundung aus Madrid zur Wehr zu setzen. Zehn Minuten lang werden die Töpfe geschlagen, dass man es hoffentlich bis in die spanische Hauptstadt hört.

Sowieso ist Barcelona ganz in goldrot gekleidet, beeindruckende Massendemonstrationen finden statt, an jedem dritten Balkon hängt die Flagge der Region und fast an jedem Straßenpfahl wird man aufgefordert, am 9. November SI und SI zu stimmen. Ein Ja auf die Frage, ob Katalonien ein eigenes Land sein soll und ein Ja, um die Unabhängigkeit von Spanien zu unterstützen.

Trotz des Verbots: Heute wird gewählt. Zwar dürfen nun keine Beamten mehr den Prozess mit organisieren, aber dafür hat die Region schon früh genug vorgesogt. Jetzt sind es 30.000 Freiwillige, die die Wahllokale aufsperren, die Wahlscheine ausgeben und die Auszählung vornehmen. Und weil die Gegner der Befragung vor allem ihre Rechtmäßigkeit in Frage stellen, kommt es dann auch auf eins an: Wieviele Menschen heute wählen werden. Denn wer zu den Urnen geht, daran gibt es kaum Zweifel, der wird sich für die Unabhängigkeit aussprechen.

Zur Deseskalation haben die gerichtlichen Prozesse nicht beigetragen. Wer vorher noch skeptisch gegenüber dem einseitig ausgerufenen Referendum war, der sieht sich jetzt in seinem Recht auf Meinungsäußerung und Partizipation verletzt und geht erst recht zu den Wahlen. Bitterkeit über 300 Jahre Bevormundung und vor allem die Unterdrückung zu den Zeiten der Franko-Dikatatur, die den Menschen noch gut in Erinnerung ist, brechen sich Bahn.

So kommt es auch zu einer interessanten politischen Zusammenarbeit. Drei linke und gemäßigt linke Parteien paktieren in der Frage der Unabhängigkeit mit den katalanischen Konservativen, der Partei, die grade noch als Mehrheitsbeschaffer für Rajoy und seine Christdemokraten im Föderalstaat zur Verfügung standen.

Wie es überhaupt zum Pakt zwischen rechts und links kommen kann? Die Linken hoffen sich mit der Unabhängigkeit auch von der konservativen Politik aus Madrid zu verabschieden. Das reicht von denen, die nur mehr Geld in die Bildung stecken wollen, bis zu denen, die sich erhoffen, durch einen Austritt aus der EU das Spardikatat der europäischen Empfehlungen nicht mehr mit zu machen. Für die Rechten zählt vor allem, mehr Steuereinnahmen aus dem reichen Katalonien in der Region behalten zu können. Es geht also zwischen den Zeilen also auch immer wieder um die verheerenden Folgen der Finanz- und Schuldenkrise für das Land und die Region. Es ist kein Zufall, dass die Bewegung ausgerechnet jetzt so groß werden konnte. Mit dem Ruf nach Unabhängigkeit ist die Hoffnung auf ein besseres Morgen verbunden.

Aber was für ein Morgen soll das sein? Mit keinem Wort wird darüber diskutiert, welches politische Projekt in einem unabhängigen Katalonien verfolgt werden soll. Unabhängigkeit wofür ist also die große Frage. Und so kommt es dann doch zu heißen Diskussionen zwischen den Kataloniern, die das Referendum für Augenwischerei halten und denen, die ihr politischen Grundrechte gefährdet sehen. An der Uni, in der Bahn, in der Kneipe, überall wurde in den vergangenen Tagen darüber gesprochen und gestritten. Und wenn in Berlin die Ballons steigen, wird man in Barcelona vor allem fragen: Wieviele waren an den Urnen? An den Caserolassos lässt es sich schwer ablesen. Mein Blick auf die Balkone zeigt: es steht 50:50.


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