23.07.10

Hochzeit im Chaco













Zugegeben, ich hätte nicht gedacht, dass mich meine nächste und letzte Reise in den Chaco auf eine Hochzeit führt. Aber ein paar Monate Argentinien können manchmal das pralle Leben in sich tragen und alles, was zu Freude und Leid dazu gehört. Ich freute mich also riesig über die Einladung von Omar und Nina nach Charata. Ja, ganz normale Hetero-Hochzeit, zumindest das war keine Überraschung, auch wenn dieser Satz vor ein paar Monaten ebenfalls undenkbar gewesen wäre. Zum Standesamt habe ich es nicht geschafft, aber zumindest zum Fest wollte ich nicht fehlen.

Mit 80 Kilo Asado und nicht deutlich weniger Kartoffelsalat, 12 Kilo Hochzeitstorte, DJ Pult, Licht-Anlage und Innendecko in Gelb-Weiss waren die wesentlichen Parameter der Party abgesteckt. Gegen erstaunlich pünktlichen 22 Uhr ging es los, wofür wohl das Wetter (4 Grad und Polarwinde - das im Chaco!) verantwortlich war. Mit Leben gefüllt wurde das Fest vor allem durch die 10 Geschwister von Omar nebst Familie, die deutsche Seite wurde von Mona und mir abgedeckt.

Einige Geständnisse: Mona und ich waren gnadenlos overdressed. Ich musste mich wirklich anstrengen, um den Gesprächen über die Baumwollernte und das Schmachspiel der WM etwas Geistreiches (oder zumindest Unauffälliges) hinzu zu fügen. Alle anderen Hochzeitsbesucher tanzten einfach besser. Und zwar alles, von Caravella bis Chacarera - Tänze, um deren Existenz ich höchstens aus einem Tourismusführer der gehobenen Sorte wusste, nie allerdings einen Schritt gewagt hatte. Nun, eine der Kousinen weihte mich ohne Zögern ein.

Nina und Omar dagegen waren grossartig. Mit Bravour liefen sie die gesamte Hochzeitsgesellschaft ab, machten Fotos mit zahlreichen Nichten und Neffen, hielten die Stange beim Anschneideritual, hatten die Muße mit allen zu reden und: tanzten wie die Götter. Auch der beständig kommentierende DJ war überzeugt: "Miren que lindo que están los novios!" unterlegte zahlreiche seiner aufgelegten Rhythmen.

Gegen 5 ging es in die eisige Nacht, am Tag wartete schon mein Bus nach Capital. Bleibt mir nur eins, Nina und Omar alles Glück für ihre Zukunft zu wünschen. In Charata, in Aachen und allen Orten, Geistes- und Gefühlszuständen, die dazwischen liegen!

16.07.10

Der Abschied geht los... / Empieza la despedida...



Auch wenn es noch ein paar Wochen sind, mein Diakoniebuero, die Kirche, die Projekte und die Freiwiligen aus dem Jahrgang haben ihn gestern unwiederruflich eingeleitet: meinen eigenen Abschied. Danke fuer das schoenste Asado meiner zweieinhalb Jahre! Bilder habe ich keine, schliesslich bringt man keine Kamera auf Ueberraschungsparties mit, aber einen kleinen stimmlichen Eindruck. Ihr wart grossartig, danke!!! Era genial, gracias!!!

15.07.10

Ganaaaaaaaamos! Wahnsinn Argentina!!!

Es ist 5:10 am Morgen in Argentinien. Vor genau einer Stunde hat der argentinische Kongress die Ehe fuer Homos geöffnet. Nach 14 Stunden konzentrierter Debatte stimmt der Senat mit 33 zu 27 Stimmen für die Gesetzesänderung. Im argentinischen Bürgerlichen Gesetzbuch heissen Ehemann und Ehefrau jetzt schlicht: Partner.

Ich war live dabei. Draussen, vor dem Kongress und gemeinsam mit der lgbt-Gemeinde verfolgen wir die Debatte. Um 3 Uhr nachmittags gehts los, es folgen 14 Stunden bei 5 Grad und Polarwinden, ein Leerstück in Sachen Demokratie. Alte, Junge, Homos, Heteros, traditionelle Familien und solche, die es noch nicht sind. Oberklasse und Unterklasse, alle anwesend. Mit zeitweise bis zu geschätzten 20.000 Menschen hören der Debatte zu oder dem Kulturprogramm, buhen, wenn ein Abgeordneter sagt, dass wir die Mehrheit diskriminieren, lachen, wenn schwuler Mais ins Feld geführt wird, klatschen, wenn ein Senator sich für seinen schwulen Sohn eine gerechtere Zukunft wünscht. Und das alles unter einem Motto, dass es auf den Punkt bringt: Dieselbe Liebe, dieselben Rechte.

Drinnen im Senat wird eine Debatte auf einem Niveau geführt, das sich gewaschen hat. 70 Senatoren reden, argumentieren, von Sokrates bis San Martin, vom Europäischen Menschrechtsgerichtshof bis zu psychologischen Studien wird nichts ausgelassen. Und natürlich immer wieder die Kirche (die einzige, die katholische), weil man sonst auch wenig hat zum Festhalten. Wenig Populismus, viel Respekt, das ist selten in Argentinien und auch in Deutschland. Nur selten dominiert Parteipolitik die inhaltliche Debatte, etwa wenn der Kampf wieder für oder die Kirchners instrumentalisiert wird. Glaubwürdig ist das nicht. Es sind die Präsidentschaftskandidaten und ihre Verbündeten, die so reden. Die grosse Mehrheit draussen weiss, darum geht es nicht. Es geht um uns. Nur ganz am Schluss passiert es dann doch. Die Vorsitzende der zuständigen Senatskomission bäumt sich ein letztes Mal auf und sagt unter Tränen: Was abartig ist, muss abartig bleiben.

Als endlich zur Abstimmung gegangen wird, starrten wir alle wie gebannt auf die Monitore. Als die Anzeigentafel die Mehrheit für die Öffnung der Ehe anzeigt, rassten wir aus. Ein einziger Jubel durchbricht die Nacht, wir liegen uns in den Armen, rennen über den Platz und schreien "Igualdad"! Maria Rachíd, eine der wichtigsten Initiatorinnen des Gesetzes, fehlen die Worte, niemand scheint richtig auf den Sieg vorbereitet zu sein. Hinter ihr ist die Bühne schon halb abgebaut. Und dann findet sie doch den richtigen Ton: "Euch, die ihr Angst habt, dass dieses Gesetz unsere Gesellschaft spalten wird, sagen wir: macht euch keine Sorgen. Nichts Schlimmes wird nach dieser Entscheidung passieren. Im Gegenteil. Sie wird uns helfen, diese Gesellschaft weiter zu vereinen."

Wir versuchen noch einigen Argentiniern den Terminus "eingetragene Lebenspartnerschaft" zu übersetzen. Unmöglich. Bleiben wir lieber beim Motto: diesselbe Liebe, diesselben Rechte. Vamos Argentina - Was für eine Nacht!

04.07.10

Equipazo und Entsetzen


Public Viewing in einem der Parks von Buenos Aires. Zusammen mit 4000 Argentiniern und 3 Deutschen schaue ich mir das Spiel. Vorher hatte ich mir zurecht gelegt, für die Argentinier zu sein. Immerhin lebe ich hier zweieinhalb Jahre, hätte mich über letzte Woche in einem feiernden und stolzen Land in albiceleste gefreut, hatte Angst vor den gekränkten Reaktionen gegenüber einem Deutschen, habe ihnen eine Revanche für 2006 gegönnt, mich über Schweinsteiger und Lahm geärgert und fand die ersten Spiele der Argentinier überzeugend. Kein Problem, das blauweisse Trikot über zu ziehen. Der Park singt und mit Kappe und Flagge auf der Wange hüpfe ich bei der Nationalhymnestimme und gröle, dass das Equipo gegen die Schwuchteln gewinnen soll.

Geklappt hat das nicht. Stattdessen habe ich einige der angespanntesten Minuten meiner Zeit im Cono Sur verlebt. Verlor Alemania den Ball, zog sich meine Brust zusammen, bei den Chancen der Deutschen beruhigte sich mein Gemüt. Ich bewunderte jede gelunge Kombination und wünschte mir mehr Tore. Nach 10 Minuten der zweiten Halbzeit überlegte ich, heimlich meine argentinische Glücksmütze abzusetzen. Nicht, dass mir die Argentinier egal wurden, auch mit ihnen litt ich mit. Aber meine Freude war auf Seiten der Deutschen. Gewonnen hat zum Glück das bessere Team: wir. Fahnenflüchtling habt ihr geschrieben, weit gekommen bin ich nicht. Merkwürdiges Ding, der Patriotismus. Meine Argentinier hatten es mir ja eh nicht geglaubt. Seit gestern kenne ich eine der grössten Schwierigkeiten im Fussball: Dass nur einer gewinnen kann.

Und der Rest des Publikums? Wakawaka vor Beginn, Stimmung wie in der Bomboñera und viel Zuversicht. Dann das Tor in der zweiten Minute. Stille. 4004 Menschen geschockt. Die famosen Minuten der Deutschen. Wir bleiben stumm. Kein Raunen, kein Gesang unterbricht das Entsetzen. 20 Minuten in Starre. Nie war Argentinien so still.

Erst nach dem Lattenknaller von Messie erinnern wir uns an unsere Aufgabe und stellen den 12. Mann wieder auf. Erste Gesänge, der Park trommelt wieder. Eine Halbzeitpause in Anspannung. Dann der furiose Beginn der zweiten Hälfte. Es riecht nach Tor und endlich finden wir unsere Stimme wieder, die Menge singt und will das Equipo zum Ausgleich feuern.

Dann bricht Klose Argentinien das Herz. Wir können es nicht glauben. Die Stille kehrt zurück in den Park. Beim dritten Tor verlassen die ersten Fans das Amphitheater. Was für ein Bild, was für eine Enttäuschung. Es passiert etwas Unglaubliches. Als Müller vom Platz geht, klatschen ein paar Fans. In Anerkennung. Der Kommentator wiederholt beständig das Wort "equipazo" - Hammerteam. Er meint die Deutschen. Einer hinter mir schreit noch "Palermo". Ein Witz, auch Bocas Rekordstürmer wird Argentinien nicht mehr retten können. Beim vierten Tor sind 90 Minuten vorzeitig vorbei. Ohne Pfiffe, ohne Hass gegen die Deutschen steht ein beträchtlicher Teil des Publikums auf. Das Spiel ist aus, bevor es abgepfiffen wird. Die Fans schleichen nach Hause, es sind ruhige Stunden. Erst am späten Nachmittag kehrt Alltag auf die Strassen zurück, ein Alltag, der die Niederlage und die Enttäuschung nicht vergessen macht. Heute muss das Leben weitergehen. Muss, auch wenn viele kaum Kraft dazu haben.

Was habe ich für ein Glück, denke ich, als ich ins ISEDET zurück kehre, wo die internationale Gemeinschaft mit mir auf den Sieg der Deutschen anstossen will. Was für ein Glück, dass ich heute feiern kann. Und mehr als je zuvor verstehe ich das Gesicht von Maradonna und die wenigen Worte die einige meiner argentinische Freunde für mich finden. Es sind vorsichtige Schritte, die ich heute in einem leidenden Argentinien mache.