Public Viewing in einem der Parks von Buenos Aires. Zusammen mit 4000 Argentiniern und 3 Deutschen schaue ich mir das Spiel. Vorher hatte ich mir zurecht gelegt, für die Argentinier zu sein. Immerhin lebe ich hier zweieinhalb Jahre, hätte mich über letzte Woche in einem feiernden und stolzen Land in albiceleste gefreut, hatte Angst vor den gekränkten Reaktionen gegenüber einem Deutschen, habe ihnen eine Revanche für 2006 gegönnt, mich über Schweinsteiger und Lahm geärgert und fand die ersten Spiele der Argentinier überzeugend. Kein Problem, das blauweisse Trikot über zu ziehen. Der Park singt und mit Kappe und Flagge auf der Wange hüpfe ich bei der Nationalhymnestimme und gröle, dass das Equipo gegen die Schwuchteln gewinnen soll.
Geklappt hat das nicht. Stattdessen habe ich einige der angespanntesten Minuten meiner Zeit im Cono Sur verlebt. Verlor Alemania den Ball, zog sich meine Brust zusammen, bei den Chancen der Deutschen beruhigte sich mein Gemüt. Ich bewunderte jede gelunge Kombination und wünschte mir mehr Tore. Nach 10 Minuten der zweiten Halbzeit überlegte ich, heimlich meine argentinische Glücksmütze abzusetzen. Nicht, dass mir die Argentinier egal wurden, auch mit ihnen litt ich mit. Aber meine Freude war auf Seiten der Deutschen. Gewonnen hat zum Glück das bessere Team: wir. Fahnenflüchtling habt ihr geschrieben, weit gekommen bin ich nicht. Merkwürdiges Ding, der Patriotismus. Meine Argentinier hatten es mir ja eh nicht geglaubt. Seit gestern kenne ich eine der grössten Schwierigkeiten im Fussball: Dass nur einer gewinnen kann.
Und der Rest des Publikums? Wakawaka vor Beginn, Stimmung wie in der Bomboñera und viel Zuversicht. Dann das Tor in der zweiten Minute. Stille. 4004 Menschen geschockt. Die famosen Minuten der Deutschen. Wir bleiben stumm. Kein Raunen, kein Gesang unterbricht das Entsetzen. 20 Minuten in Starre. Nie war Argentinien so still.
Erst nach dem Lattenknaller von Messie erinnern wir uns an unsere Aufgabe und stellen den 12. Mann wieder auf. Erste Gesänge, der Park trommelt wieder. Eine Halbzeitpause in Anspannung. Dann der furiose Beginn der zweiten Hälfte. Es riecht nach Tor und endlich finden wir unsere Stimme wieder, die Menge singt und will das Equipo zum Ausgleich feuern.
Dann bricht Klose Argentinien das Herz. Wir können es nicht glauben. Die Stille kehrt zurück in den Park. Beim dritten Tor verlassen die ersten Fans das Amphitheater. Was für ein Bild, was für eine Enttäuschung. Es passiert etwas Unglaubliches. Als Müller vom Platz geht, klatschen ein paar Fans. In Anerkennung. Der Kommentator wiederholt beständig das Wort "equipazo" - Hammerteam. Er meint die Deutschen. Einer hinter mir schreit noch "Palermo". Ein Witz, auch Bocas Rekordstürmer wird Argentinien nicht mehr retten können. Beim vierten Tor sind 90 Minuten vorzeitig vorbei. Ohne Pfiffe, ohne Hass gegen die Deutschen steht ein beträchtlicher Teil des Publikums auf. Das Spiel ist aus, bevor es abgepfiffen wird. Die Fans schleichen nach Hause, es sind ruhige Stunden. Erst am späten Nachmittag kehrt Alltag auf die Strassen zurück, ein Alltag, der die Niederlage und die Enttäuschung nicht vergessen macht. Heute muss das Leben weitergehen. Muss, auch wenn viele kaum Kraft dazu haben.
Was habe ich für ein Glück, denke ich, als ich ins ISEDET zurück kehre, wo die internationale Gemeinschaft mit mir auf den Sieg der Deutschen anstossen will. Was für ein Glück, dass ich heute feiern kann. Und mehr als je zuvor verstehe ich das Gesicht von Maradonna und die wenigen Worte die einige meiner argentinische Freunde für mich finden. Es sind vorsichtige Schritte, die ich heute in einem leidenden Argentinien mache.
1 Kommentar:
Wunderbarer einfühlsamer Bericht! Respekt!
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