20.09.09

Momente aus den letzten Wochen: Mercedes, Uruguay

Auf Besuch in Jorges neuer Wirkungsstätte und beschäftigt mit der Frage, wie wir in Zukunft und auch in Kooperation mit der methodistischen Kirche in Uruguay Freiwilligeneinsätze anbieten können. Eine kleine Stadt im grossen Uruguay, 40.000 Einwohner, einheitlicher Stadtkern vom Beginn des 20. Jahrhunderts, geprägt durch einen funktionierenden, kleinen Mittelstand, gemütliche Mate-Stimmung.

An der Grenze des Städtchens liegen die Eisenbahnschienen, die einst Weizen, Fleisch und Menschen zum Hafen von Colonia gebracht haben und dann in der grossen Privatisierungswelle in den 90er Jahren stillgelegt wurden. Gerne würde man die Schienen jetzt wieder in Betrieb nehmen, um die Papierfabrik von Botnia (genau, die mit dem berühmten Streit zwischen Argentinien und Uruguay) mit Eukalyptos-Zellulose zu versorgen. Nicht ganz einfach, denn es gibt ein Problem. Rechts und links des Bahndamms, aufgereiht wie an einer Perlschnur, erstrecken sich Hütten aus Holzbalken, provisorisch von Plastikplanen bedeckt, Wohnraum für geschätzte 2000 Menschen, ein Elendsviertel, das sich in den letzten Jahren ausgebreitet hat. Kabel spannen sich von den Laternen der Schnellstrasse wild durch die Siedlung, es besteht kein Anschluss an das Wassernetz, Trinkwasser muss aus dem Brunnen geholt werden, gekackt in den Grünstreifen zwischen Hütte und Abhang.

Armut wie überall in den Slums vom Cono Sur. Das schockierende hier: Das ganze liegt am Rande einer Kleinstadt. Stellt euch vor, am Stadteingang von Kulmbach oder Kettwig breitet sich ein Elendsquartier aus, in dem 400 Familien ihr überleben versuchen. Man kann nicht wegsehen, viele der Bewohner von Mercedes überqueren den Bahndamm täglich. An der Situation der Siedlung hat das nichts geändert. Um die Eisenbahnschienen wieder in Betrieb zu nehmen, geht es jetzt darum, die Armen von hier weg zu bekommen. Aufgrund des wirtschaftlichen Interesses gibt es Geld, um sie in kleine Häuschen, die zusammengepfercht ein paar Kilometer entfernt liegen, umzusiedeln. Ob das klappt, darf man bezweifeln. Die Ursachen der Armut hat man durch das Umsiedeln auf jeden Fall nicht beseitigt.

Anfang Oktober sind Neuwahlen in Uruguay. Das linke Parteienbündnis Frente Amplio tritt mit seinem Präsidentschaftskandidaten „Pepe“ Mujica an, der in den 70er Jahre Mitglied der Guerilla Bewegung der Tupamaros war und während der Militärdiktatur 13 Jahre im Gefängnis saß. Die Frente hatte in der ersten linken Regierung in der Geschichte des Landes politische Konzepte zur Verminderung von Ungleichheit und Exklusion konkret umgesetzt. Genau das gefährdet jetzt die Wiederwahl des Bündnisses. Das zentrale Projekt sozialen Ausgleichs, die Einführung einer progressiven Einkommensteuer, geht der kleinen Mittelschicht und der (meinungs)mächtigen Oberschicht ans Portemonnaie. Die Idee klingt vertraut europäisch, oben mehr abkassieren, unten mehr ermöglichen. Dennoch: Kommt die Opposition ans Ruder, soll die Steuer wieder abgeschafft werden. Im Moment steht es 50:50.


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